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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 24.06.2021:

„Wir unterstützen die Einrichtungen, das Lernen in der digitalen Welt zu organisieren.“

Das learninglab begleitet Bildungseinrichtungen im digitalen Wandel
Das Bild zum Artikel
Bildrechte: Richard Heinen

Das learninglab begleitet und unterstützt Bildungseinrichtungen dabei, den digitalen Wandel gut zu gestalten. Die Online-Redaktion von „Bildung + Innovation“ sprach mit Richard Heinen, Geschäftsführer des learninglab und Schulentwickler, über das Lernen in der digitalen Welt, regionale Schulnetzwerke und Hybridunterricht.


Online-Redaktion: Was genau ist das learninglab?

Heinen: Das learninglab ist eine Ausgründung des Lehrstuhls für Mediendidaktik und Wissensmanagement der Universität Duisburg-Essen und wurde 2008 von Prof. Dr. Michael Kerres mit dem Ziel gegründet, Praxisunterstützungsprojekte zu realisieren. Uns geht es darum, einen Transfer aus der wissenschaftlichen Forschung in die Praxis zu ermöglichen und Bildungseinrichtungen dabei zu unterstützen, den digitalen Wandel gut zu gestalten. Wir bieten Projekte für Einrichtungen und Interessierte entlang der gesamten Bildungskette an, von der frühen Bildung über Schule, berufliche Bildung und Hochschule bis zur Erwachsenenbildung.

Online-Redaktion: Wie gehen Sie dabei vor?

Heinen: Wir versuchen mit Pädagog*innen aus der Praxis gute Ideen für eine didaktische Gestaltung von Lernen in der digitalen Welt zu entwickeln und zu reflektieren, gleichen diese mit wissenschaftlichen Erkenntnissen ab und geben sie an andere Bildungseinrichtungen weiter. Bei dieser gestaltungsorientierten Mediendidaktik gibt es keine festen vorgegebenen Lösungen. Jede Bildungseinrichtung muss selbst für sich ihren eigenen Zugang zum Lernen in der digitalen Welt finden und für sich entscheiden, wie sie Lernen heute gestalten will. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, und auch der Weg dahin kann sehr verschieden sein. Dass er von den handelnden Akteuren aus gedacht ist, verstehen wir als systemisches Arbeiten.

Online-Redaktion:
Wie begleiten Sie die Bildungseinrichtungen beim digitalen Wandel?

Heinen: Zum einen bieten wir Fortbildungen an, inputorientierte Workshops, mit hohen Praxisanteilen. Wir stellen Werkzeuge im Sinne von Software, Arbeitsweisen und Methoden vor, und lassen die Teilnehmenden damit Erfahrungen sammeln. Im Vordergrund steht aber nicht der einzelne Pädagoge bzw. die einzelne Pädagogin. Wir versuchen vielmehr die Einrichtung als Ganzes dabei zu unterstützen, das Lernen in der digitalen Welt zu organisieren, stoßen systemische Prozesse an und begleiten sie dabei, ihren Weg zu finden. Dass es dabei auch sehr stark um den Einsatz digitaler Medien geht, ist fast schon ein Nebeneffekt.

Online-Redaktion: Ist Digitalisierung in der Kita schon ein Thema?

Heinen: Ja, auch diese Altersgruppe kommt im Elternhaus schon sehr früh mit digitalen Geräten in Berührung, aber in einer passiven Konsumentenrolle. Bei unseren Angeboten geht es darum, sie aus dieser passiven Rolle in eine aktive, gestaltende zu bringen. Sie sollen erfahren, dass sie mit den Geräten auch etwas produzieren können. Zum Beispiel zeigen wir ihnen, dass sie mit Tablets dokumentieren können, was im Gemüsebeet ihres Kindergartens wächst, oder sie schauen sich mit Mikroskopen, die sie ans Tablet anschließen, das Gemüse genauer an. Wir unterstützen Kitas auch dabei, an die Eltern heranzutreten, um sie dafür zu sensibilisieren, Kinder zuhause nicht zu oft passiv technische Geräte benutzen zu lassen, die eigene Vorbildfunktion zu reflektieren und auch digitale Kommunikationskanäle zwischen Eltern und zur Kita aufzubauen. In Fortbildungen führen wir die Einrichtung in die Thematik ein, und in Zertifizierungskursen überlegen wir mit den einzelnen Kitas, wie sie auf die Digitalisierung reagieren wollen. Es geht darum, anzuerkennen, dass auch schon kleine Kinder in einer digitalen Welt leben, und ihnen dabei zu helfen, eine gute reflektierte Haltung einzunehmen. Kita als Schutzraum bedeutet nicht mehr „Digitalfreie Zone“, sondern gute Vorbereitung auf einen selbstbestimmten Umgang mit Smartphone und Co.

Online-Redaktion: Die Digitalisierung hat durch Corona einen neuen Aufschwung erlebt. Mit welchen Fragen kommen die Schulen auf sie zu?

Heinen: Das ist ganz unterschiedlich. Nach den Sommerferien 2020, als man merkte, Corona geht weiter, haben viele Schulen danach gefragt, ob wir ihnen beibringen können, wie sie Videokonferenzen durchführen können. Sie wollten ihren normalen Stundenplan einfach digital fortführen. Andere Schulen hingegen haben während der Pandemie Schwachstellen erkannt, an denen sie jetzt weiterarbeiten wollen. Sie haben den Stundentakt aufgeweicht, die Schüler*innen in kleinere Gruppen aufgeteilt, um die sich Teams von Lehrer*innen gemeinsam gekümmert haben, und damit begonnen, die Gesamtorganisation von Lernen zu verändern. Sie kommen mit der Erkenntnis zu uns, dass die Art und Weise, wie Kinder im Gleichschritt beschult und bewertet werden, nicht mehr funktioniert, und suchen Unterstützung dabei, wie sie Lernen und Feedback anders organisieren und wie sie aus dem Bewerten ein Begleiten machen können. Das ist es, was wichtig ist, wenn man an die Zukunft des Lernens denkt, und das steht bei den Projekten, die wir durchführen, auch immer im Zentrum. Wieweit eine Schule dann gehen kann, muss vor Ort austariert werden.

Online-Redaktion: Heißt das, Lernen wird sich verändern, wenn sich die Digitalisierung immer mehr durchsetzt?

Heinen: Das Digitale ist immer nur ein Werkzeug, ein Verstärker. Worum es eigentlich geht, ist zu überlegen, wie Lernprozesse gestaltet werden müssen, damit sie in diese Zeit, in der wir leben, besser passen. In der Politik herrscht, noch mehr als in den Lehrplänen, eine starke Fokussierung auf den Stoff, auf Inhalte. Was wir in der Pandemie aber gesehen haben, ist, dass eigentlich die Kinder - unabhängig davon, ob Lernen digital oder analog umgesetzt wurde -, die darauf vorbereitet waren, selbstständig und selbst organisiert zu arbeiten, viel besser durch die Pandemie gekommen sind als die Kinder, die stark abhängig sind von einem lehrerzentrierten Unterricht. Und warum sollten die Kinder nicht selbst entscheiden, wie sie die vorgegebene Zeit zum Lernen auf die Fächer verteilen. Dieser Lernprozess kann dann natürlich mit digitalen Medien sehr gut verstärkt werden.

Online-Redaktion: Ein Ansatz, der auf die Selbstständigkeit der Kinder zielt.

Heinen: Ja, wir führen im Moment ein Projekt für die Robert Bosch Stiftung durch, das sich „Global Goals vernetzt“ nennt, da geht es um die 17 Nachhaltigkeitsziele von der UN. Kinder entwickeln eigenständig Forscherfragen zu einzelnen dieser Ziele und gehen dabei von ihren eigenen Interessenslagen und Lebensweisen aus. In dem Projekt hat eine Gruppe festgestellt, dass sich die Strömungen von Pazifik und Atlantik nicht vermischen. Sie stellten sich dann die Frage, warum das so ist, was passiert, wenn sich das verändert, und warum sich das überhaupt verändern könnte, und kamen schließlich zum Klimawandel und unserer Lebensweise sowie zu der Überlegung, was sich ändern muss, damit dieses System, das für den Planeten extrem wichtig ist, stabil bleibt. Das ist Lernen, das deutlich über den klassischen Unterricht hinausgeht. Hier geht es darum, eigene Fragen zu formulieren, entsprechendes Fachwissen aufzubauen und zu überlegen, was es bedeutet. Wissensaneignung wird für die Lernenden erkennbar relevant. Wichtiger aber noch ist der schwierige Prozess, sich in einem Forscherteam, in dem Lernende aus drei Schulen digital zusammenkommen, zu organisieren. Diese Arbeitsweise erfordert das Internet, die Fragen kann man nicht mit dem Schulbuch beantworten, und auch bei der Präsentation der Ergebnisse erleichtern digitale Formate das gemeinschaftliche Arbeiten. Und das prägt ja auch immer mehr, da Arbeitsleben und auch gesellschaftliche Probleme zunehmend darauf beruhen, dass wir digital gut bzw. nicht gut kommunizieren. Stichworte: Hate speech, fake news und cyber crime.

Online-Redaktion: Warum gestalten Sie Ihre Schulprojekte gerne in regionalen oder kommunalen Netzwerken?

Heinen: Es kann hilfreich für Schulen sein, wenn sie die Entwicklung zur digitalen Schule nicht alleine durchlaufen. Schulen, die auf einem ähnlichen Weg sind, können sich austauschen und voneinander lernen. Es erleichtert zusätzlich die Zusammenarbeit mit dem Schulträger - meist sind das die Städte -, der über die Beschaffung der technischen Ausstattung entscheidet. Wenn sich die Schulen absprechen und eine gemeinsame Vorgehensweise planen, macht es das dem Schulträger wesentlich leichter. Die professionellen Lerngemeinschaften, die wir zurzeit in den Schulnetzwerken in Niedersachsen, NRW und Baden-Württemberg begleiten, laufen gut, auch wenn Corona die Arbeit belastet. Hier entwickeln Lehrkräfte von verschiedenen Schulen gemeinsam Lernarrangements und überlegen gemeinsam, wie sie sie gestalten können. In solchen Netzwerken sind oft die innovativen Kräfte einer Schule vertreten, die sich trauen, etwas Neues auszuprobieren, und es dann, wenn es funktioniert, an weitere Lehrkräfte ihrer Schule weitertragen. So entstehen Alternativen zur klassischen Top-Down-Fortbildung.

Online-Redaktion: Gibt es auch Nachfragen zu hybriden Lernangeboten?

Heinen: Durch den Wechselunterricht während Corona haben viele Schulen gemerkt, dass es auch Vorteile bringt, wenn man die großen Klassen aufteilt und einige Schüler*innen zuhause oder in Selbstlernzentren eigenständig arbeiten, während andere in der Klasse unterrichtet werden. Sie überlegen jetzt, wie sie das weiterhin umsetzen können. Den Unterricht stärker vom individuellen Kind und seinem Leistungsvermögen aus zu betrachten, heißt, schnell an die Grenzen der klassischen Rahmenbedingungen zu stoßen. Denn dafür müssten zum Beispiel die Stundentafeln aufgeweicht oder neue Prüfungs- und Bewertungsformate eingeführt werden. Die spannende Aufgabe für das neue Schuljahr wird es sein, zu schauen, was wir aus Corona lernen und wie wir das zur Weiterentwicklung der Schulen nutzen können, anstatt zu einem alten Normal zurückzukehren, das es nicht mehr gibt.


Richard Heinen ist systemischer Schulentwickler. Er befasst sich seit über 20 Jahren mit den Fragen um den digitalen Wandel im schulischen Lernen und anderen Bildungsbereichen. Er war unter anderem Chefredakteur bei Lehrer-Online, lehrte an den Universitäten Limerick (IRL), Köln und Düsseldorf und war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Mediendidaktik und Wissensmanagement der Universität Duisburg-Essen. Mit einer kurzen Unterbrechung ist er seit 2012 Geschäftsführer der learninglab GmbH in Köln.

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 24.06.2021
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