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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 14.06.2018:

„Inklusion ist anstrengend, aber sie lohnt sich.“

Der Deutsche Schulpreis 2018 geht an inklusive Schule
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Die Hauptpreisträgerschule
Bildrechte: Deutscher Schulpreis, Max Lautenschläger

Am 14. Mai wurde in Berlin der „Deutsche Schulpreis 2018“ verliehen. Die Siegerschule – das Evangelische Schulzentrum Martinschule in Greifswald – zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass sie Inklusion lebt und das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Beeinträchtigung konsequent praktiziert.


Es gibt viele gute Schulen in Deutschland, denen es gelingt, Kinder und Jugendliche für das Lernen zu begeistern, ihre Lust an Leistung zu steigern und ihre Kreativität freizusetzen. Damit die Konzepte und Ideen dieser Schulen bekannt und damit auch für andere Schulen wirksam werden können, haben die Robert Bosch Stiftung und die Heidehof Stiftung im Jahr 2006 den Wettbewerb „Deutscher Schulpreis“ unter dem Motto „Dem Lernen Flügel verleihen!“ ins Leben gerufen. Mit dem Preis wollen sie gute Schulen würdigen und sie für die Schulentwicklung in Deutschland nutzbar machen. Kooperationspartner sind die ARD und DIE ZEIT Verlagsgruppe.

Grundlage dessen, was eine gute Schule ist und wonach sie bei dem Wettbewerb ausgewählt wird, ist ein umfassendes Bildungsverständnis, das auf sechs Qualitätsbereichen beruht: Leistung, Umgang mit Vielfalt, Unterrichtsqualität, Verantwortung, Schulleben und Schule als lernende Institution. Schulen, die an dem Wettbewerb teilnehmen, müssen in den sechs Bereichen stark sein und sich darüber hinaus einer individuellen Herausforderung stellen, wie z.B. der Integration von Schülerinnen und Schülern mit Fluchterfahrung, Schule als Lern- und Lebensort im Stadtteil oder der Etablierung von jahrgangsübergreifendem Unterricht. Aus den eingegangenen Bewerbungen wählt eine Vorjury 50 Schulen aus, die sie an die Jury – Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis – weiterleitet. Diese entscheidet sich dann für 20 Schulen, die sie besucht und begutachtet. Aus diesen wählt sie wiederum bis zu 15 Schulen aus, die sie für den Deutschen Schulpreis nominiert.

Der Hauptpreis geht nach Greifswald
Auf der feierlichen Preisverleihung am 14. Mai 2018 im Berliner ewerk wurden die sechs Gewinnerschulen bekannt gegeben, Bundesbildungsministerin Anja Karliczek überreichte ihnen die Auszeichnung. Das Evangelische Schulzentrum Martinschule in Greifswald gewann den mit 100.000 Euro dotierten Deutschen Schulpreis 2018. Die fünf weiteren Preise in Höhe von je 25.000 Euro gingen an die Gesamtschule Bremen-Ost, die Franz-Leuninger-Schule in Mengerskirchen, die Integrierte Gesamtschule Hannover-List, das Annette-von-Droste-Hülshoff-Gymnasium in Münster und die Matthias-Claudius-Schule in Bochum.

Das Evangelische Schulzentrum Martinschule in Greifswald überzeugte die Jury „mit dem unbedingten Willen, das „Anderssein“ der Kinder und Jugendlichen radikal zu akzeptieren und wertzuschätzen“. Fast die Hälfte der 550 Schülerinnen und Schüler haben sonderpädagogischen Förderbedarf und müssen aufgrund ihrer geistigen oder emotional-sozialen Entwicklung besonders unterstützt werden. Das ist weit mehr als der Landesdurchschnitt in Mecklenburg-Vorpommern von 10,8 Prozent für das Schuljahr 2015/16. Dabei ging die Martinschule den Weg der „umgekehrten Inklusion“. Die Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ausschließlich für Kinder mit geistiger Behinderung gegründete Schule öffnete sich zehn Jahre später nach außen und holte Regelschülerinnen und -schüler dazu. Anfang der 2000er wurden im selben Haus eine Grundschule und ein Schulhort gegründet – die Geburtsstunde des Evangelischen Schulzentrums Martinschule –, vier Schuljahre später war wegen der Ergänzung um den Bildungsgang einer Integrierten Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe auch das Abitur an der Martinschule möglich. Seitdem wird das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Beeinträchtigung konsequent durchgeführt. Die Regelschule und die Schule für Kinder und Jugendliche mit geistigen Beeinträchtigungen verschmolzen zu einer guten Schule für alle. Bis zur neunten Klasse gibt es keine Noten, bis zur siebten Klasse wird mit den gleichen Lehrkräften in einer kleinen Stammgruppe von maximal zwölf Kindern gelernt, damit diese ein stabiles Umfeld haben. Gleichzeitig werden individuelle Begabungen und Neigungen in flexiblen Lerngruppen gefördert. Gehandicapte Schüler sammeln außerdem in jahrgangsübergreifenden Projekten wie der Schülerfirma oder dem Wohnungstraining wichtige Erfahrungen, die sie auf einen möglichst autonomen Lebensalltag und eine berufliche Integration vorbereiten. In der Schülerfirma „Häppchen & Co“ bereiten die älteren Schülerinnen und Schüler für die Kinder der Grundschule täglich ein Frühstück zu und lernen dabei den Umgang mit Geld sowie den Erwerb und die Zubereitung von Lebensmitteln. Beim Projekt „Wohnungstraining“ erfahren und trainieren die Jugendlichen Selbstwirksamkeit und Teilhabe für den Alltag. In einer extra angemieteten Wohnung waschen sie Wäsche, decken den Tisch, gestalten die Zimmer und halten diese sauber. Außerdem hat die Martinschule einen Teil einer alten Kaufhalle in ein Abschlussstufenzentrum umbauen lassen, in dem die Jugendlichen auf ihr Leben nach der Schule vorbereitet werden. „Inklusion ist anstrengend, aber sie lohnt sich“, lobte Professor Michael Schratz, Erziehungswissenschaftler von der Universität Innsbruck und Sprecher der Jury des Deutschen Schulpreises bei der Preisverleihung. „Während manche die Inklusion für gescheitert erklären, beweist die Martinschule mit ihrem außergewöhnlichen Inklusionsmodell das Gegenteil: Hier lernen alle Kinder und Jugendlichen erfolgreich unter einem Dach – ganz gleich ob mit oder ohne Handicap, Förderbedarf oder besonderer Begabung. Dabei nimmt sich die Martinschule auch der schwierigen Fälle an, bei denen es durchaus körperlich zugehen kann. Wir brauchen solche Schulen, die davor nicht zurückschrecken und dieser Herausforderung mit guten Konzepten begegnen.“

Dennoch oder gerade deshalb sind an der Martinschule die Ergebnisse der VERA-Vergleichsarbeiten und der zentralen Abiturklausuren sowie auch die Abschlussergebnisse der mittleren Reife seit Jahren besser als im Landesdurchschnitt. Jede Schülerin und jeder Schüler verlässt die Martinschule mit einem Abschluss – für Jugendliche mit Behinderung, die an anderen Schulen oft kein Zeugnis erhalten, gibt es einen schulinternen „Abschluss“. Neben dem gemeinsamen Lernen und der individuellen Förderung sind der Martinschule eine starke Eltern- und Schülerbeteiligung, besondere förderdiagnostische Kompetenzen des Lehrpersonals sowie ausgeprägte Kooperationen in multiprofessionellen Teamstrukturen wichtig.

Neues Schulentwicklungsprogramm

Die nominierten Schulen, die nicht als Gewinnerschulen ausgezeichnet wurden, erhielten Anerkennungspreise in Höhe von jeweils 5.000 Euro. Darüber hinaus profitieren die Schulen vom Schulentwicklungsprogramm des Deutschen Schulpreises, das 2017 eingeführt wurde. Ziel des Programms ist es, diese innovativen und entwicklungsbereiten Schulen in ihrer Entwicklung zu unterstützen und zu begleiten. Dazu werden Zielvereinbarungen abgeschlossen, die Schulen erhalten eine individuelle Prozessbegleitung, werden zu Vernetzungstreffen in die Robert Bosch Stiftung eingeladen und erhalten Zugang zu den Angeboten der Deutschen Schulakademie, wo sie an Seminaren zu aktuellen Themen der Schulentwicklung teilnehmen können.

Schulentwicklung voran bringen
Die ausgezeichneten Schulen wiederum werden Mitglied im „Netzwerk der Preisträgerschulen“, das zurzeit aus 67 Schulen besteht, die sich seit 2006 erfolgreich am Deutschen Schulpreis beteiligt haben. Sie treffen sich einmal jährlich zur „Konferenz der Preisträger“ und entsenden Vertreter aus ihrem Kreise in das Programmteam der Deutschen Schulakademie. Die Deutsche Schulakademie – gegründet ebenfalls von der Robert Bosch Stiftung und der Heidehof Stiftung – ist eine bundesweit aktive und unabhängige Institution für Schulentwicklung und Lehrerfortbildung, die die ausgezeichnete Schulpraxis der Preisträgerschulen in die Breite trägt. Die Hauptpreisträgerschulen geben ihre Erfahrungen, Konzepte und Programme in Schulbesuchen, Vorträgen und Seminaren an andere Schulen weiter, um das Hauptziel des Wettbewerbs – die Schulentwicklung in Deutschland voranzubringen – zu erfüllen.




Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 14.06.2018
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