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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 24.10.2024:

„Es geht darum, allen Schüler*innen in Echtzeit Feedback zu geben.“

Das Projekt FederLeicht verbindet in einem Lernsystem Augmented Reality mit dem analogen Bereich
Das Bild zum Artikel
Bildrechte: FederLeicht

Die Schülerschaft in Deutschland wird immer heterogener. Kinder bringen schon zu Schulbeginn unterschiedliches Vorwissen mit und die Lerninhalte werden zusehends komplizierter. Das führt dazu, dass auch der Lernerfolg der einzelnen Schülerinnen und Schüler sich immer mehr voneinander unterscheidet. In dem BMBF-geförderten Projekt „FederLeicht“ entsteht ein Lernsystem für die erweiterte Realität, das Kinder und Jugendliche beim Lernen unterstützen soll. Die Online-Redaktion von „Bildung + Innovation“ sprach mit dem Projektbeteiligten André Uhl, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IZT - Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Berlin, über Ziele, Nutzenerwartungen und Einsatzszenarien des Lernsystems.


Online-Redaktion: Herr Uhl, Sie arbeiten an dem Projekt FederLeicht mit. Worum geht es dabei?

Uhl: FederLeicht versucht, die Verbindung aus virtuellen und realen Räumen zu nutzen und verknüpft in einem Lernsystem Augmented Reality mit dem analogen Bereich. Das FederLeicht-System besteht aus einem Projektor und einem interaktiven, intelligenten Stift sowie der Software, mit der es betrieben wird. Mit dem Projektor werden Informationen, Kommentare und Korrekturvorschläge auf einem Blatt Papier aufgezeigt, auf dem Schüler*innen mit dem Stift schreiben. Das Verbundprojekt wird als dreijähriges Projekt, von 2021 bis 2024, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in dem Förderschwerpunkt „Interaktive Systeme in virtuellen und realen Räumen - Innovative Technologien für die digitale Gesellschaft“ (VAR2) gefördert.

Online-Redaktion: Wer ist an dem Projekt beteiligt?

Uhl: Die Universität Duisburg-Essen, die auch die Projektleitung innehat, ist für die Herstellung des Projektors verantwortlich. Die Universität Freiburg entwickelt den Stift. Die Technische Universität Dortmund ist vor allem verantwortlich für Lehrkonzepte, die mit diesem Lernsystem implementiert werden können. Sie führen auch Erhebungen mit Schüler*innen durch und testen das System. Die Weltenmacher GmbH, eine Firma in Düsseldorf, die sich vor allem mit Gamification-Ansätzen und Virtual Reality befasst, entwickelt die Software.

Online Redaktion: Und was ist Aufgabe des IZT?

Uhl: Das IZT-Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung gGmbH in Berlin verfolgt in dem Projekt zwei Hauptziele. Zum einen versuchen wir herauszufinden, was die Akzeptanzfaktoren und die Nutzenerwartungen sind. Das heißt, welche Erwartungen haben die Lehrenden, die Lernenden, aber auch die Eltern und die Bildungspolitik an das System. Zum anderen untersuchen wir ethische, rechtliche und soziale Aspekte des Projekts und forschen danach, welche Implikationen das Anwenden der Technologie im Bildungsbereich hat, z. B. ob es Diskriminierungsrisiken birgt. Wir entwickeln dazu sogenannte ELSI-Leitlinien.
Darüber hinaus beschäftigen wir uns mit dem Gesamtkonzept „Zukunft der Schule“. Wir stellen uns Fragen dazu, wie die Schule in Zukunft aussehen müsste, damit solche digitalen Lernsysteme sinnvoll eingesetzt werden könnten, welche Bedingungen dafür bereits gegeben sind oder wo auch die Bildungspolitik gefordert wäre.

Online Redaktion: Was sind die Ziele des Projekts FederLeicht?

Uhl: Das Projekt adressiert die unterschiedliche Lerngeschwindigkeit von Schüler*innen mit Hilfe von KI und intelligentem Erkennen von Lernverhalten bzw. dem Verhalten bei den Lösungsaufgaben und gibt den Schüler*innen direkt beim Lösen von Aufgaben Rückmeldung. Lehrkräfte können nicht überall zur gleichen Zeit präsent sein, sondern bewerten in der Regel im Nachhinein Klassenarbeiten oder Aufgaben. Bei FederLeicht geht es darum, allen Schüler*innen in Echtzeit Feedback zu geben.

Online Redaktion: Was ist bei FederLeicht anders als bei anderen KI-Programmen, die korrigieren und kommentieren können?

Uhl: FederLeicht hat die Intention, auch die Haptik, das Lernen mit einem Stift beim Schreiben zu fördern und auf dem Papier, auf dem geschrieben wird, Rückmeldung zu geben. In Skandinavien wird der Einsatz von digitalen Lehrmaterialien ja bereits wieder zurückgefahren. FederLeicht ist der Versuch, die Vorteile der Augmented Reality mit den Vorteilen aus dem haptischen Greifen und der Motorik zu verbinden. Es ist angepasst an das individuelle Lernverhalten und gibt direkt Feedback, damit die Schüler*innen in den einzelnen Aufgabenbereichen schneller besser werden.

Online-Redaktion: Wie funktioniert das Lernsystem?

Uhl: Der Projektor, der einer Schreibtischlampe ähnelt, steht links auf einem Tisch und projiziert Informationen oder Korrekturen vor bzw. nach dem Schreiben direkt auf das Blatt Papier. Hierzu hat Weltenmacher zwei Avatare entwickelt, die mit den Schüler*innen interagieren. Das sind kleine Figuren, die die Schüler*innen bei dem Lernen unterstützen und dadurch die Motivation steigern sollen. Der Stift ähnelt einem Füller, vorne und in der Mitte, wo man den Stift greift, sind Sensoren, die Daten messen können. Über einen Chip werden die Daten übertragen. Dabei sollen z.B. Aussagen darüber getroffen werden können, wie lange die Schüler*innen brauchen, um eine Aufgabe zu lösen, ob sie Stress dabei empfinden oder, ob sie mit der Aufgabe gut zurechtkommen. Ein möglicher Indikator dafür ist die Stärke des Drucks, der ausgeübt wird, sowie die gemessene Pulsfrequenz. Dadurch soll aufgezeigt werden, bei welchen Aufgaben die Lernenden noch mehr Zeit und mehr Förderung brauchen.

Online-Redaktion: Gibt es verschiedene Möglichkeiten, das System einzusetzen?

Uhl: Es gibt mindestens zwei unterschiedliche Einsatzszenarien. Einmal begleitet eine Lehrkraft eine*n Schüler*in remote, also aus der Ferne per Bildschirm, und nimmt Korrekturen vor, die dann über das System angezeigt werden. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass die Aufgaben von einem Algorithmus bewertet werden. Die Ergebnisse werden dann ebenfalls von der „Lampe“ projiziert.

Online Redaktion: Woher bekommt das Lernsystem die Aufgaben?

Uhl: Die Aufgaben werden von der Lehrkraft eingegeben. Die TU Dortmund beschäftigt sich damit, diese Aufgaben zu entwickeln und zu testen, welche sinnvoll mit dem Lernsystem bewältigt werden können. Das sind in der Regel keine neuen Aufgaben, sondern sie orientieren sich an den Lehrplänen. Sie müssen ja für die Lehrkräfte im Unterricht einsetzbar sein.

Online Redaktion: Und wie kann eine Lehrkraft FederLeicht im Unterricht einsetzen?

Uhl: Es wäre möglich, das Lernsystem sowohl einzelnen Schüler*innen, die einen besonderen Lernbedarf in bestimmten Bereichen haben, als auch Gruppen von Schüler*innen mit besonderen Lernbedarfen zur Verfügung zu stellen. Ein anderes Einsatzfeld wäre im Klassenverband damit zu arbeiten, dann würde auf jedem Tisch ein Projektor stehen. Ich stelle mir vor, dass das System nicht durchgängig im Unterricht angewendet wird, sondern für einzelne Unterrichtselemente, für die es bislang erprobt ist, hinzugezogen wird.

Online Redaktion: Sie beschäftigen sich auch mit den Nutzenerwartungen. Welche sind das aus Sicht der Lehrenden und Lernenden?

Uhl: Dadurch, dass das System Korrekturvorschläge gibt, ist eine der großen Nutzenerwartungen aus der Sicht der Lehrenden und der Schule, dass es eine Entlastung für die Lehrkräfte darstellt. Auf Schüler*innenseite wird erwartet, dass es sie motiviert und sie Spaß bei seiner Anwendung haben. Das Feedback in Echtzeit soll auch einen besseren Lernfluss ermöglichen.

Online Redaktion: Sie haben angesprochen, dass Sie ELSI-Leitlinien entwickeln. Welche sind für das Projekt von Bedeutung?

Uhl: Zum einen ist die Prüfung möglicher Diskriminierungspotenziale sehr wichtig. Gleichheit muss gewährleistet sein. Haben z.B. alle den gleichen Zugang zu dem digitalen Lernsystem? Wurde bei der Programmierung darauf geachtet, dass nicht inhärente Diskriminierungspotenziale eingearbeitet wurden? Der Datenschutz ist ein weiteres großes Thema, insbesondere bei dem Stift stellen sich Fragen wie: Wer liest die Daten und wertet sie aus? Wohin werden die Daten übersetzt? Wie lange und wo werden sie gespeichert? Wir untersuchen alle relevanten Punkte, formulieren Leitlinien und stellen Beispielfragen dazu.

Online Redaktion:
Welche weiteren wichtigen Punkte gibt es noch?

Uhl: Die Berücksichtigung menschlicher Handlungs- und Entscheidungsfreiheit, die Autonomie, ist noch ein wichtiges Thema. Es darf nicht das Gefühl entstehen, dass hier etwas aufdoktriniert wird. Die Handlungsfreiheit, bestimmte Aufgaben zu lösen und andere nicht bzw. das System zu nutzen oder nicht, muss gegeben sein. Es darf kein Zwang zur Nutzung einer Technologie entstehen. Entscheidend ist, Vertrauen in die Technologie aufzubauen, indem erklärt wird, was gemacht, was gemessen wird und wie die Technologie funktioniert. Transparenz stärkt ihre Legitimität bei Lehrkräften, Schüler*innen und Eltern.

Online-Redaktion: Konnten Sie bereits testen, wie das Lernsystem angenommen wird?

Uhl: Ja, in unterschiedlichen Fokusgruppen an verschiedenen Schulen. Interessant für uns war, dass vielen Schüler*innen die ökologische Nachhaltigkeit sehr wichtig ist. Sie wünschen sich auch eine sinnvolle Nutzung der Systeme. Offenbar wurden in der Vergangenheit Systeme angeschafft und nicht verwendet. Entscheidend ist für sie auch der Spaß am Umgang mit dem Lernsystem und dass die Software dem entspricht, was sie im Alltag auf ihren Tablets und Handys nutzen. Bei den Lehrkräften haben wir festgestellt, dass es ein ziemliches Gefälle gibt zwischen denen, die einer Veränderung der Lernkultur eher kritisch gegenüberstehen und denen, die sehr offen sind. Das hat auch etwas mit unterschiedlichen Generationen zu tun, vor allem aber damit, ob sie an einer Schule arbeiten, die einer Einbindung von digitalen Lernsystemen positiv gegenübersteht und die Lehrkräfte es gewohnt sind, mit diesen zu arbeiten oder an einer Schule, an der es noch nicht so viele Erfahrungen damit gibt und die Lernatmosphäre weniger experimentell ist.

Online-Redaktion: Müssten die Lehrkräfte fortgebildet werden, um FederLeicht einsetzen zu können?

Uhl: Auf jeden Fall. Sie müssen wissen, wie das Lernsystem funktioniert, auch damit sie die Ergebnisse richtig einschätzen können. Die Ergebnisse müssten auch in ein Konzept integriert werden, in dem sie bzw. das Lernsystem insgesamt, unterstützend wirken. Es sollte ebenso noch analoge Formate und Reflexionsmomente geben. Die Interpretation und Analyse der Ergebnisse könnten durch die Lehrkräfte dann in Form von Feedback-Gesprächen erfolgen. Vielleicht müsste es dafür in Zukunft auch Anpassungen am Lehrplan geben. All das müsste Gegenstand einer Schulung sein. Im Grunde sollte schon im Lehramtsstudium eine Bereitschaft für den Einsatz solcher Systeme stärker gefördert werden.



André Uhl ist Zukunftsforscher (M.A.) und seit Juni 2017 wissenschaftlicher Mitarbeiter am IZT - Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Berlin. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen auf der Entwicklung und Anwendung von Methoden der Zukunftsforschung und der Technikfolgeabschätzung. Er arbeitet unter anderem an Forschungsprojekten für die Europäische Kommission, für das Bundesministerium für Bildung und Forschung und für den Deutschen Bundestag.

 

 

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 24.10.2024
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